Im Gespräch mit Michio

 

Nach zehn Jahren als Direktorin des Tanztheaters in Darmstadt, entscheidet sich Mei Hong Lin ihre facettenreiche Schaffensperiode mit jenem Werk zu beschließen, das einst ihren Auftakt am Staatstheater Darmstadt bildete. Mit Bernarda spannt sie einen Bogen über eine Zeit, auf die sie nicht ganz ohne Wehmut zurückblickt: „Es ist so schön gerade zum Abschied noch einmal mit den Musikern einen Abend zu gestalten, die mit mir hier in Darmstadt begonnen haben. Wie wichtig und wertvoll das für mich ist, wurde mir bei unseren gemeinsamen Proben verstärkt deutlich. Dieses Gefühl, diese Erfahrung, möchte ich mit den Zuschauern teilen.“ Der Komponist und Gitarrist Michio war es, der 2004 von Mei Hong Lin den Auftrag bekam, eine Flamenco-Komposition für Das Haus der Bernarda Alba zu kreieren. Im Gespräch blickt er zurück auf die Entstehung seines musikalischenWerkes.

Photo by Barabara Aumüller

Michio, wie darf man sich den Entstehungsprozess der Komposition zu Das Haus der Bernarda Alba vorstellen?

Zunächst fand ein Treffen statt, im Rahmen dessen Mei Hong Lin mir die Szenen vorstellte. Sie arbeitet in ihrer Inszenierung sehr nah an der dramatischen Vorlage von García Lorca, hat jedoch eine eigene szenische Unterteilung vorgenommen. Sie beschrieb mir den Inhalt, und wir verständigten uns über die Stimmungen, die die jeweiligen Szenen transportieren sollten. Mit Stimmungen – also zum Beispiel Adjektiven, die die Situation bildnerisch beschreiben –kann ich bei Kompositionen immer besonders gut arbeiten.

Sie komponieren mittlerweile überwiegend zeitgenössische Musik. Für Das Haus der Bernarda Alba war es der ausdrückliche Wunsch Mei Hong Lins mit Flamenco-Musik zu arbeiten. Ist die Vorgehensweise bei einer solchen Komposition eine andere?

Ich bin tatsächlich anders vorgegangen als bei meinen Kompositionen zeitgenössischer Musik. Flamenco-Musik besteht aus bestimmten Palos oder Compáses, beispielsweise Alegría, Seguiriya, Buleria, Guajira, Colombiana, Petenera oder Fandango, um nur ein paar aufzuzählen. Vereinfacht gesagt, bezeichnen diese Namen Rhythmen. Sie drücken jedoch nicht nur einenbestimmten Rhythmus oder ein Metrum aus, sondern geben auch Auskunft über Ton- und Spielart sowie über die Stimmung, die vermittelt werden soll. Eine Seguiriya hat zum Beispiel immer sehr schwere Themen, wie Tod oder Trauer, und bestimmte Tonarten, in denen sie gespielt wird. Dies ist in der Flamenco-Musik alles ziemlich genau festgelegt. Ähnlich einer barocken Fuge unterliegt eine Flamencokomposition strengen Regeln. Meiner Ansicht nach ist diese Musik in Zusammenhang mit zeitgenössischemTanz sehr spannend. Zum einen sind zwei sehr wichtige Parameter einer musikalischen Komposition für Tanz – nämlich der Rhythmus und die zu unterstützende Stimmung – vorgegeben, zum anderen spornt gerade diese strenge musikalische Form einen immer wieder an, innerhalb dieser„Regeln“ etwas Neues zu kreieren. Aufgrund dieser Möglichkeiten der Flamenco-Musik konnten Mei Hong Lin und ich uns vorab auf bestimmte Palos und Compáses für die einzelnen Szenen einigen. Im Anschluss begann ich dann die Musik im jeweiligen Stil zu komponieren.

Sind den auftretenden Figuren bestimmte musikalische Themen zugeordnet?

 Ja, absolut. Das Solo von Adela beispielsweise hat ein ganz bestimmtes Thema. Dieses tritt an unterschiedlichsten Stellen versteckt wieder auf. Sowohl kompositorisch als auch dramaturgisch bildet für mich das Solo von Adela den Kern, das Zentrum des Stückes. Ich gehe grundsätzlich bei der Form einer Komposition – egal ob das jetzt eine Komposition für Tanz oder Gitarre solo oder sonst etwas ist – gedanklich von einer Art geometrischen Figuren aus.Wenn diese für mich stimmig sind, dann stimmt auch die Komposition. Es ist sehr schwierig, diese abstrakten Gebilde in meinem Kopf in Worte zu fassen. Im Falle der Musik von Bernarda stelle ich mir in etwa einen inneren Kreis vor, von dem zwei spitzwinklige Dreiecke ausgehen.

Was singt Carmen Fernandez?

 Carmen singt fast ausschließlich traditionelle, alt-überlieferte Flamenco-Letras. Der Inhalt des Gesangs ist dabei sehr Palo-spezifisch. Taranta beispielsweise, ist ein Palo aus Almeria, einem Ort an dem es viele Kupferminen gibt. Der Text handelt vom Alltag der Minenarbeiter, es geht also inhaltlich nicht um Bernarda Alba. Ich nutze ihre Stimme mehr als Klangfarbe, nicht zum Transportieren von inhaltlicher Information. Ich verbinde traditionelle Flamenco-Musik mit meiner persönlichen, sehr modernen Version des Flamencos. Das führt zu einer Reibung, die mir besonders in Bezug auf dieses Stück sehr passend erschien. Da ist zum einen die katholische, traditionsbewusste Bernarda, daneben Adela, mit ihrem Drang auszubrechen. Dieses Nebeneinander von Tradition und Moderne spiegelt sich auch in unserer Band wieder. Carmen Fernandez ist eine sehr traditionelle Flamenco- Sängerin, eine echte Zigeunerin aus Utrera in Spanien. TomAuffarth und Jan Zimmermann sind Jazz-Musiker. Ich bin Komponist und arbeite ohnehin mit vielen unterschiedlichen Stilen. Durch diese Mischung erhält die Flamenco-Musik meiner Ansicht nach einen zusätzlich interessanten Charakter.

Das Interview führte Josefine Sautier